Deshalb lieben wir unsere Freunde: für ihre Fähigkeit, unseren Blickwinkel zu verändern, dass sie das Beste in uns zum Vorschein bringen, wenn es uns schlecht geht, dass sie uns an unsere Stärken erinnern, wenn wir uns schwach fühlen.
– Erica Jong –
Ich sitze im Bus Richtung Lima. Und was man tut, wenn man eine 20 Stunden Busfahrt vor sich hat? Na klar, man macht sich Gedanken. Über dies und das. Ich, gerade getrennt von 2 unglaublich tollen Menschen, denke über die Freundschaft nach. Über den Wert der Freundschaft.
WAS BEDEUTET FREUNDSCHAFT FÜR MICH
Freundschaft bedeutet für mich, sich in dem Anderen wiederzufinden. Nicht unbedingt, mit den gleichen Interessen, den gleichen Hobbies, der Arbeit oder dem Kleidungsstil. Nein, eher in Kleinigkeiten. Mit den gleichen Werten, einer gemeinsamen Geschichte oder aber dem Gefühl, das du hast, wenn du merkst, der Andere versteht dich.
Ohne dich viel erklären zu müssen. Dann entsteht etwas. Vielleicht so eine Art Band, das uns miteinander verbindet. Früher dachte ich, wenn jemand eine Louis Vuitton Tasche trägt, kann ich mit der Person NIEMALS befreundet sein, denn was hätten wir dann schon groß gemeinsam?! Ich bin froh, wenn ich einen buckligen Jutesack finde, der keine Bierflecken oder Zigarettenlöcher von der letzten Nacht mit sich trägt.
Aber jetzt erkenne ich, dass das vollkommen egal ist. Dass es egal ist, ob mein einer Freund BWL studiert und mit Anzug und Krawatte in die Arbeit geht, oder meine andere Freundin eine Michael Kors Tasche besitzt. Denn das macht es nicht aus. Scheißegal, Papperlapapp, wen interessiert das schon?
Ist es nicht viel wichtiger, dass ich mit ihr lachen kann, bis ich Tränen in den Augen bekomme und dass sie diejenige ist, die mich schon so gut kennt, dass ich ich sein kann. Mich nicht verstellen muss und mich so angenommen fühle, wie ich bin? Dass sie diejenige ist, die mich vorsichtig daran erinnert, dass es klug wäre, in die Rentenkasse einzuzahlen und dass sie diejenige ist, die mit mir weint, wenn ich mal traurig bin. Und das Schöne: Um so unterschiedlicher deine Freunde sind, umso mehr kannst du von von ihnen lernen und sie von dir.
GEMEINSAM ZUSAMMEN SEIN
Klar, Gemeinsamkeiten müssen schon sein. Ohne eine gemeinsame Baseline geht nix. So bin ich dankbar für die Stunden mit einem Freund, in denen wir gemeinsam zusammen waren. Und trotzdem jeder für sich. Ich denke, das macht es aus: Gemeinsam zu sein, und dennoch seinen eigenen Weg gehen zu können. Ich weiß nicht, ob das mit vielen Menschen möglich ist, ich weiß auch nicht, ob so etwas für das ganze Leben bestimmt ist, aber ich weiß, ich bin dankbar für jede einzelne Minute, in denen er und ich zusammen gegangen sind. Und falls sich die Wege mal für eine gewisse Zeit lang trennen sollten, so hoffe ich, dass sie sich irgendwann wieder finden.
DIE PFLICHTEN IN EINER FREUNDSCHAFT
Finde ich schon mal scheiße. Alleine das Wort „Pflicht“. Für mich gibt es keine wirklichen Pflichten in einer Freundschaft. Ich finde es nicht ausschlaggebend, wie oft man sich meldet, dass man alle 3 Tage eine WhatsApp verschickt, und fragt, wie es in der Arbeit war und was es zum Mittagessen gab 🙂
So lange man Interesse an den wirklich wichtigen Sachen dem Anderen gegenüber zeigt, den Herzenssachen, finde ich das „Ich muss mich mal wieder melden, aber insgeheim habe ich gar keinen Bock“ für überzogen. Melde dich, wenn du Bock hast oder was unternehmen willst, aber vergiss nicht den Geburtstag oder den Tag, an dem dein Freund einen Oscar verliehen bekommt.
Und ganz ehrlich: Wenn es schon so weit kommt, dass du für wirklich laaange Zeit keinen Bock hast dich zu melden, vielleicht hast du dann einfach keinen Bock mehr auf diese eine Freundschaft. Das klingt hart. Ist es vielleicht auch, denn es tut weh. Ich denke, Ehrlichkeit sich selber und dem Anderen gegenüber spielen dabei eine große Rolle. Das ist nicht immer leicht, aber leichter wird es auch nicht, wenn man nicht ehrlich ist. (Was an dieser Stelle nicht heißen soll, dass ich den Dreh schon raus habe – ich bin immer noch dabei, zu lernen, wie das alles so funzt.)
DIE EIGENEN BEDÜRFNISSE IN EINER FREUNDSCHAFT
PUUUU. Schwieriges Thema. Ich habe mich schon mal dabei ertappt, meine eigenen nicht erfüllten Bedürfnisse als versteckte Anforderungen im Schafspelz dem Anderen unterzujubeln. Obwohl dieser nicht die Bohne damit zu tun hat und es auch nicht seine Aufgabe ist, meine Bedürfnisse zu erfüllen.
So bin ich zum Beispiel nicht in den Genuss gekommen, wie es sich anfühlt, einen Vater zu haben (Korrektur an dieser Stelle, das war nur die erste Hälfte meines Lebens so – in der 2. habe ich die beste Vertretung bekommen, die ich mir nur wünschen konnte). Ergo habe ich überzogene Anforderungen an einen Freund gestellt, was aber überhaupt nicht seine Aufgabe war. Denn er ist nicht mein Vater. Und die Dinge, die mir fehlen, kann mir nur einer geben: Ich selber.
Schön, ich klinge wie ein Ratgeber zu dem Thema „Selbstbewusstsein stärken“. Aber schreibe ich keinen Ratgeber, sondern bin ich selber noch der, der Rat sucht. Wie trennt man seine eigenen Bedürfnisse von denen, die ganz normal sind, in einer Freundschaft? Wie können wir unsere Erwartungen dem Anderen gegenüber nicht zu hoch ansetzen, aber auch nicht zu niedrig?
Ein guter Freund hat mir mal gesagt: Finde das richtige Mittelmaß. Ja, aber wo ist das verfluchte Mittelmaß? Ich habe nicht mal einen Messbecher zu Hause, backe meine Kuchen mit ungefähren Schätzungen und „ach, das haut schon.“ Aber ist das Leben kein Schokokuchen. Schade eigentlich.
FREUNDSCHAFT IST DIE VERBINDUNG DER SEELEN
Vielleicht wäre es gut, wenn wir die Lücken, die wir haben, nicht Anderen überlassen würden, zu füllen. Denn das geht auf Dauer nicht gut. Auf Dauer ist der Eine überfordert, was irgendwann zu Überforderung oder Genervtheit und schlimmstenfalls zu einem Bruch der Freundschaft führen kann. So war das zumindest in meinem Falle. Und dabei war ich die, die verlässt, aber auch die Verlassene. Und anfühlen tut sich beides scheiße.
Wenn ich mir eines wünsche, dann wünsche ich mir, dass ich ein Freund bin, der den Anderen in Stunden der Not hält, ihn schubst, wenn die Türe zu schwer ist, um sie alleine zu öffnen und ihn ziehen lässt, wenn es Zeit ist, für den Anderen, zu gehen. In Interessen zu unterstützen, auch wenn es nicht die meinen sind, zuzuhören, wenn es an der Zeit ist und die Wahrheit zu sagen, wenn es der Andere braucht. Zu Lachen und zu Tanzen und durch gemeinsame Geschichten zu einer Eigenen zu verschmelzen.
Aristoteles sagt: Wahre Freundschaft ist nur einmal möglich. In dieser Freundschaft gibt man, was man geben kann, und das reicht völlig. Wahre Freundschaft wächst durch Umgang miteinander. Man lernt voneinander, man nimmt Charakterzüge an, man wird sich ähnlicher. So wird der andere zu einem Teil des Selbst.
Bleibt mir nur zu sagen: Ich hoffe, dass uns so eine Art der Freundschaft nicht nur einmal im Leben widerfährt. Lass uns dankbar sein für die Menschen, die wir als unsere Freunde bezeichnen dürfen. Und lass uns diesen Menschen zeigen, wie viel sie uns bedeuten.
Hey Verena,
einfach nur Danke für diese Zeilen.
Ich wünsche dir tolle Momente wo auch immer du gerade genau bist, sei es in Lima oder anderswo.
Liebe Grüße
Jan