Sie muss das erstmal verdauen. Verarbeiten. Kann sich nicht wirklich darüber freuen, sagt sie. 

 

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Denn sie wird mich ja vermissen. Was soll sie denn ohne mich machen, fragt sie. Ein halbes Jahr sei scheiße lang, ob ich mir dessen bewusst bin.

„Ja, das bin ich!“, sage ich. Und meine Schuldgefühle, die klopfen an.

 

Er ist sauer, weil ich es ihm nicht vorher gesagt habe. Weil ich es ihm auf der Wiesn, inmitten von Bier und Gegröle erzähle. Das wäre fairer gewesen, sagt er. Er hat Recht, denke ich bei mir. Aber sagen tue ich es nicht. Ob ich ihn vermissen werde, fragt er.

„Ja, das werde ich!“, sage ich. Ich vermisse dich schon jetzt, denke ich. Und das Klopfen wird lauter.

 

Sie sitzt auf meinem Sessel und weint. Sie ist traurig, dass ich gehe. Es geht alles so schnell. Aber sie freut sich so für mich und glaubt, ich werde mein Glück finden. Sie schnieft, trinkt Wein, viel zu viel und schaut aus dem Fenster. Das halbe Jahr wird schnell vergehen, sage ich. Doch wirklich glauben, tue ich es nicht. Ich will sie aufmuntern, ihr einen Teil der Trauer nehmen.

Denn ich fühle mich schuldig. Verantwortlich für ihre Tränen.

„Ich komme wieder zurück, das verspreche ich dir“, sage ich, doch wirklich glauben tue ich es nicht. Und das Klopfen wird unerträglich laut.

 

ES IST MEIN LEBEN! IST ES MEIN LEBEN?

 

Das alles lasse ich Revue passieren, während ich in meinem Hostel auf dem Balkon sitze und mal wieder lieber grübel statt zu genießen. Aber leider kann ich das nicht so einfach abstellen. Würde ich aber gerne. Ich frage mich, wie es den Anderen wohl geht. Ob ich auch noch genügend Zeit mit jedem von ihnen verbracht habe?

Ich denke also.

Ob ich jedem gerecht geworden bin, mich auch von jedem verabschiedet habe und die Anforderungen erfüllt habe. Und da kommt es mir: Ich spreche nur von den Wünschen und Bedürfnissen Anderer, nicht von den Meinen. Ich frage mich nicht, ob ICH alle gesehen habe, die ich noch sehen wollte, ob ICH genug Zeit mit den Menschen verbracht habe, mit denen ich wollte.

Ich glaube, ich habe bestimmt mein halbes Leben damit verbracht, darauf zu achten, wie es den Anderen geht. Was ich tun kann, damit sie sich besser fühlen. Ja, hört sich an wie in einem kitschigen Jane Austen – Roman, nicht?

Ich habe wohl mehr darauf geachtet was ich für sie tun kann, als was ich für mich tun kann. Total bescheuert, wie ich so feststelle. Denn für die Bedürfnisse und Gefühle Anderer bin ich nicht verantwortlich (wenn es nur so einfach wäre, das auch zu leben). Und somit auch nicht für die Erwartungen, die Andere an mich stellen.

 

LIVE TO THE BEAT OF YOUR OWN DRUM

 

„Helfen Sie zuerst sich selbst und dann den Anderen!“ – Lautet so nicht die Durchsage aus dem Flugzeug? Normalerweise schalte ich an der Stelle der Stewardessen-Vorführung immer schon ab und überlege, was es wohl zu Essen gibt.

Und genau in diesem Moment kenne ich das Ziel. Vielleicht nicht DAS Ziel meiner Reise, jedoch ein kleiner Zwischenstopp:

Ich möchte endlich lernen, das zu tun was ICH möchte, ganz ohne Gewissensbisse den Anderen gegenüber, oder dem Gefühl etwas leisten oder erbringen zu müssen. Mit 28 Jahren bin ich ein Meister darin für Andere zu leben, zu biegen und zu gefallen. Doch möchte ich nun endlich nur eins:

Mir selbst gefallen! Stolz sein auf mich, etwas reißen und zurückkommen mit einer Geschichte.

Nämlich meiner. Und ganz ohne Klopfen.

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