Eine Geschichte über zwei Fremde. Eine Geschichte über meinen Vater und mich.

 

Strandspaziergang

 

Alleine seinen Namen und den meinen in einen Satz zu schreiben, ist Überwindung für mich. Mein Vater und ich. Oder eher: Mein Vater. Und ich. Das entspricht vielleicht eher der Realität.

Er. Und ich.

Was ich fühle wenn ich an meinen Vater denke, durfte ich erst vor Kurzem erfahren. Denn davor habe ich es verschlossen gehalten. Verschlossen in einer Schachtel, die ich tief in meinem Herzen vergraben habe. Um mich zu schützen. Um meine Trauer unter Verschluss zu halten weil diese Trauer so unendlich traurig ist, dass ich ein neues Wort für Trauer erfinden müsste.

Ich fühle mich ungewollt. Alleine. Unsichtbar. Abgeschoben wie etwas, das lästig ist. Lästig ist ein hässliches Wort, aber es passt. War ich ihm lästig? Ohne Vater aufzuwachsen ist hart. Ohne Vater aufzuwachsen und dabei versuchen seine Rolle in der Familie zu übernehmen, ist noch härter.

 

HABEN WIR NICHT ALLE EIN PÄCKCHEN AUF DEN SCHULTERN?

 

Versteh mich nicht falsch. Ich möchte mit dieser Geschichte nicht auf die Tränendrüse drücken oder dein Mitleid. Ich erzähle das hier nur ganz genau so wie ich es empfinde. Und vielleicht geht es dir da draußen auch so. Ganz bestimmt hast du auch eine Geschichte, ein kleines Päckchen auf deinen Schultern.

Ach fuck it, das haben wir doch alle.

Und ich glaube, dass es zu 2. leichter ist zu ertragen und mit ganz viel Glück kannst du dich ein klein wenig wiederfinden in meiner Geschichte.

Also weiter im Text:

Ich sehe einen Vater mit seiner Kleinen spielen und bin unendlich traurig. Traurig, dass ich nicht erfahren durfte wie das ist. Wie das ist, in der Luft herumgewirbelt zu werden bis mir schwindelig wird, geküsst zu werden und am ganzen Körper gekitzelt zu werden, bis mir vor Lachen die Tränen kommen.

Geliebt zu werden. Oder war diese Liebe die ganze Zeit da und ich kann mich nur nicht erinnern? ich habe Lücken was meine Erinnerung an meine Kindheit angeht. An die Zeit als mein Vater noch mein Vater sein wollte. Ich glaube, ich wurde auch in der Luft herumgewirbelt, wurde auch geküsst und gekitzelt bis mir die Tränen kamen.

 

ICH VERMISSE MEINE FEHLENDE WURZEL

 

Doch irgendwann wollte er mich nicht mehr herumwirbeln, mich küssen und kitzeln. Irgendwann hat er sich dazu entschlossen, seinen Weg ohne seine Kinder zu gehen. Ohne mich. Er hat mir seine Liebe verweigert. Seine Küsse. Seine Zärtlichkeiten. Seine Anerkennung. Seinen Stolz.

Den Stolz, den nur ein Vater für seine Tochter empfinden kann, wenn sie ihren Schulabschluss schafft, zum ersten mal von einem Jungen geküsst wird oder den Führerschein bekommt. Den Stolz und die Anerkennung, die ein Mädchen braucht. Das ich brauche. Ich brauche dich. Oder vielmehr: ICH BRAUCHTE DICH. Ich brauchte dich, um mich auf meinem Weg zu begleiten, um mir zu zeigen wo es im Leben langgeht. NEIN zu sagen, wenn es an der Zeit ist, nein zu sagen. Meinen Willen durchzusetzen, meinen Standpunkt zu vertreten. Ich zu sein. Meine eigene Wurzel zu sein. Meine fehlende Wurzel.

Ob ich ihn hasse? Nein. Ob ich wütend bin? Ja. Ich bin wütend, ich bin so wütend und kraftlos zugleich, dass die Tränen, die ich all die Jahre in mir aufgestaut habe, nun nicht recht weiß loszulassen. Wie trauert man um einen Vater, der nicht tot ist. Und ist es leichter um einen Vater zu trauern, der zum gehen gezwungen wurde wie um einen Vater zu trauern, der gehen wollte?

 

ERINNERUNGEN SIND WIE SCHÄTZE

 

Ein guter Freund hat seinen Vater verloren. Doch sein Vater hat ihn sein Leben lang begleitet. Er hat Erinnerungen. Erinnerungen an einen Vater, der ihn liebte. Erinnerungen, die ihn zum lachen, weinen, nachdenken, zum leben bringen. Von diesen Erinnerungen kann er zehren. Es sind seine eigenen Schätze, die er hervorholen kann, wenn er sie braucht.

Warum mein Vater mir seine Liebe nicht zeigen konnte, muss ich vielleicht gar nicht verstehen. Warum, warum, warum? Spielt das eine Rolle? Ich denke nicht. Er konnte es wohl einfach nicht. Er war nicht fähig, aus welchen Gründen auch immer. Das weiß ich jetzt. Vielleicht liebt er mich ja. Vielleicht denkt er ja genau in diesem Augenblick an mich.

Und vielleicht denkt er gerade daran, wie er mich herumgewirbelt, geküsst und gekitzelt hat.

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