Solang’ das Eis uns noch trägt.
Solang’ der Körper sich bewegt.

Solang’ die müden Beine tragen und der Mut den Zweifel schlägt, werden wir tun, was wir können. Auch wenn wir innerlich verbrennen, was wir die große Liebe nennen, zu erhalten, zu erkennen.
Zu verstehen und zu benennen, zu riskieren, um zu spüren. Zu begleiten und zu führen und geh’n durch Licht und Schatten.
Aus dem besten aller Gründe, eine lebenslange Pflicht, fest verwachsen und vertraut, weil man nur bleibt, wenn man auch glaubt.

 

 

Solang’ das Eis uns noch trägt.
Solang’ der Körper sich bewegt.

Ich befinde mich gerade auf einer Eisschicht, die droht, unter mir zu brechen. Die Eisschicht habe ich mir jedoch selbst geschaffen.

Die Eisschicht nennt sich Selbstkritik.

Pa, ich kann dieses Wort nicht leiden. Es ist kein schönes Wort. Da wären mir Wörter wie Selbstliebe, Selbstakzeptanz oder Selbstzufriedenheit lieber. Von mir aus auch Selbstbetrug, dann kann ich mir wenigstens was vormachen und happy sein. Zumindest für eine Zeit lang.

 

SPANISCHLERNEN MAL ANDERS

 

Ich sitze im Hostel auf der Couch, in der einen Hand mein Spanisch-Buch, in der Anderen ne Handvoll Post-its. Ich bin gerade dabei, das gesamte Hostel mit meinen verzweifelten Versuchen, der spanischen Sprache mächtig zu werden, voll zu tapezieren. Mein Trick ist simpel, aber smart:

Ich beklebe alles, was keine Beine hat, mit der dazu gehörigen spanischen Übersetzung. Den Kühlschrank, das Klo, das Fahrrad im Gang, den Aschenbecher.. Das Haus ist komplett gelb. Dazu noch der Rücken von Pablo und Matthieu – hey, ein bisschen Spaß muss sein 🙂 Und das war die Rache an die beiden Witzbolde, meine Post-its zu vertauschen.

Nen Spanischkurs kann ich mir nicht leisten, also lerne ich mit mir und meinen neuen Freunden, für die Wörter wie „Rotwein“ und Redewendungen wie „Damn the consequences“ absolut existentiell sind.

Ach ja und der Selbtskritik. Stimmt, die war ja auch noch da. Die Selbstkritik, die mir sagt, dass ich nicht gut genug bin. Dass ich schneller lernen sollte und dass die Anderen doch schon viel besser sprechen als ich. Ich vergleiche mich. Ich vergleiche mich nur ach zu gerne. Vergleich, auch so ein hässliches Wort.

 

ICH WILL DOCH NUR DAZUGEHÖREN

 

Solang’ die müden Beine tragen und der Mut den Zweifel schlägt, werden wir tun, was wir können. Auch wenn wir innerlich verbrennen, was wir die große Liebe nennen, zu erhalten, zu erkennen.

Ich kämpfe. Und der Kampf nennt sich Mut vs. Zweifel.

Der Mut spricht leise, traut sich nicht, zu erkennen was da ist und zu würdigen, was ich leiste. Der Mut wird eingeschüchtert von dem Zweifel.

Der Zweifel, der altklug schimpft, wettert und ungeduldig wartet. Wartet, auf dass ich nach 2 Monaten Südamerika spreche, wie jemand, der seit 2 Jahren hier ist. Wartet, dass ich nach 2 Monaten das perfekte Projekt gefunden und die halbe Welt gerettet habe.

Der Zweifel will Unmögliches.

Derweil will der Mut doch nur eins: Dazugehören.

 

BEMÄNGELN, DAS KANN ICH GUT

 

Zu verstehen und zu benennen, zu riskieren, um zu spüren. Zu begleiten und zu führen und geh’n durch Licht und Schatten.

Sie loben mich, klopfen mir auf die Schulter. Sagen, ich würde doch so gut sprechen. Und das nach 2 Monaten, ohne Kurs, ohne Vorkenntnisse.

Ich stehe in der Küche, Pablo und sein Kumpel neben mir, sie lächeln mir zu:

„Sei doch mal stolz auf dich! Amiga, hablas muy bien!“

Die Musik ist laut, es ist mal wieder Fiesta im Hostel, wie fast jeden Abend. Der Wein steht auf den Tischen, die Aschenbecher quellen über, es wird getanzt und gelacht, gesungen und … gezweifelt.

Sie bewundern mich, sagen sie. Für meinen Mut.

Doch ich selbst kann mich nicht bewundern. Höchstens bemängeln.

 

… zu riskieren und zu spüren

Ich riskiere. Ich riskiere jedes mal, wenn ich nachfrage, wenn wir in der Gruppe zusammenstehen, sich alle unterhalten und ich nichts sagen kann. Weil ich es nicht verstehe. Ich lache, doch habe ich den Witz nichtmal verstanden. Und innerlich brenne ich.

Wieso entscheidet die Sprache zwischen dem ein- und dem anderen Menschen? Wieso schafft sie Barrieren statt Brücken? Wieso macht sie mich zu einem Außenseiter?

 

.. und geh’n durch Licht und Schatten

Ich gehe. Holy crap, ich renne ja schon fast. Doch renne ich durch den Schatten, der das Licht verdrängt. Ich fühle mich wie Frodo auf dem Weg nach Mordor. Der Ring ist meine Rettung, er ist meine Zufriedenheit. Meine Anerkennung.

Meine Erlösung.

 

AINT NO MOUNTAIN HIGH, AINT NO VALLEY LOW

 

Aus dem besten aller Gründe, eine lebenslange Pflicht, fest verwachsen und vertraut, weil man nur bleibt, wenn man auch glaubt

Ich will glauben. Und zwar an mich.

Das klappt aber nicht mit Miesepetergesicht – und was hilft gegen schlechte Laune und und Mindfucking?

Ganz klar: Feiern mit den Freunden.

Ich schnappe mir mein Glas, meine Zigaretten und begleite die Crew nach draußen. Wir wollen in einen Club gehen. Ein Club, das ist in Südamerika eine Lagerhalle mit Boxen auf den Tischen plus übergelaufenen Toiletten.

Pisco Sour, das Nationalgetränk fließt hier in Strömen, genauso wie meine Stimmung, die sich stromartig zum besseren wandelt. Liegt es an den 2 Gläsern Wein oder der Ausgelassenheit und Energie der Leute?

 

HIER SCHREIBT DAS LEBEN EINE ANDERE BASELINE

 

Der Freude, ohne einen Grund dafür zu brauchen. In Deutschland brauchst du für alles einen Grund. Einen Grund zum Glücklichsein. Hier nicht. Hier schreibt das Leben eine andere Baseline. Hier wird dem Wort yolo eine vollkommen neue Bedeutung zugeschrieben. Hier wird gelebt.

Ich tanze, wild und ausgelassen. Ohne Kontrolle. Damn the consequences.

A cagar no mas – jesus christ, ich weiß, was es auf Spanisch heißt! Gefolgt von der Erkenntnis, dass ich jetzt, zumindest für diesen einen Augenblick, nicht nachfragen muss. Nicht denken. Dass es genug ist.

Und Ich tanze meinen Zweifeln davon.

Und da spüre ich es. Es wackelt unter meinen Beinen.

Unter meinen Füßen macht es knack.

Die Eisschicht.

Sie bricht.

Und ich falle.

 

 

*Microboy mit dem Lied „Solang’ der Mut den Zweifel schlägt“

 

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