Was ich habe, will ich nicht verlieren, aber

wo ich bin will ich nicht bleiben, aber

die ich liebe will ich nicht verlassen, aber

die ich kenne will ich nicht mehr sehen, aber

wo ich lebe will ich nicht sterben, aber

wo ich sterbe, da will ich nicht hin

bleiben will ich, wo ich nie gewesen bin.

– Thomas Barsch –

 

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Bleiben will ich, wo ich nie gewesen bin.

 

Das trifft es ganz gut. Nur hier im Hostel Licanantay ist es, glaube ich, nicht mehr.

Versteh mich nicht falsch, ich liebe Pablo, Diana und die Anderen.

Ich liebe Vino tinto, das gemeinsame Kochen, Singen, Gitarrespielen auf der Straße, in den Tag hinein leben und vor sich hin Spaßhaben.

Doch genauso geht es mir auch auf den Sack. Keine Privatsphäre, denn die Gäste im Hostel denken nicht daran, dass du auch mal frei haben könntest und in Frieden dein Müsli essen möchtest.

Keine Ruhe, weil der live-Club unter meinem Zimmer so gottverdammt laut ist, dass ich gar nicht erst versuche, vor 4 Uhr Früh ins Bett zu gehen. Keine Natur, keine Stille, keine Zeit für mich.

Und wenn noch einmal jemand um 5 Uhr Früh vor meinem Bett steht und betrunken in mein Gesicht „FIESTAAAA!“ röhrt und beim Raufklettern in das Stockbett auf mein Gesicht tritt, bekomme ich einen mittelschweren Tobsuchtsanfall.

Nein, es hat sich ausgefiestat. No pardy hardy anymore. Ich hab keinen Bock mehr.

Aber wo will ich hin? Und was will ich eigentlich?

 

QUE VOY A HACER, JE NE SAIS PAIS

 

Hmm… Ich habe das Gedicht mal umgeschrieben und es könnte folglich so aussehen:

 

Was ich habe, weiß ich nicht, und
wer ich bin, weiß ich auch nicht und
wo ich hinwill ebenso wenig, und
was ich erreichen möchte, hach, kein Plan
aber bleiben will ich, wo ich nie gewesen bin.

– Verena Jackstein a.k.a. die, die nicht weiß was sie will –

 

Cool, oder?! Ich vermisse meine Berge, ich vermisse meine Freunde, ich vermisse Daheim! Aber Daheim will ich nicht. Vor allem nicht in mein altes Leben mit meiner Wohnung, meinem Job im Cafe und jeden Tag der gleiche Scheiß!

– Verena Jackstein a.k.a. Jammerliese –

 

Schluss jetzt! Brust raus und Arsch zam reißen! Ist ja furchtbar dieses Genörgel, da kann ich mir ja selber kaum zuhören.

 

VAMOS A PICHILEMU

 

Lieber Taten sprechen lassen als Worte. Also heißt es weg von all dem Rummel um mich herum, den Kopf frei kriegen und ab mit meiner Freundin nach Pichilemu. DAS Surfernest von Chile, heißt es. Es befindet sich ca 5 Stunden südlich von Valpo. Und hoffentlich auch 5 Stunden südlich meiner schlechten Laune.

Und wenn ich dann nicht mit na Wahnsinnsidee zurückkomme, dann vielleicht zumindest mit na wahnsinnstollen Geschichte mit einem Wahnsinns Wellenreiter. Hach, wie schön das Leben doch sein kann, wenn man sich was vormacht und in seiner eigenen Welt lebt.

Gesagt, getan, ein paar Tage später stehen Clarissa und ich an einer Tankstelle und halten unseren Daumen raus. Zusammen mit dem unbändigen Gefühl von Freiheit und dem richtigen Maß an Ehrfurcht hitchen wir mutig und selbstbewusst in das sonnige Paradies und los gehhhts..

 

FUCK, WO BIN ICH HIER REINGERATEN?!

 

Gut. Also das mit dem Wahnsinnswellenreiter könnte schwierig werden.

Denn dazu müsste ich auch ins Wasser. Mit meinem Board. In die Wellen, die so hoch sind, dass sie mich an den Film „Der Sturm“ erinnern – nur leider kein George Clooney in Sicht, der mich rettet. Hmpf. Und die Surflehrer ebenso wenig.

Guuuut, war vielleicht auch ein bisschen mein eigenes Verschulden. Ich habe leider bei der Einführung (natürlich auf Spanisch) verschwiegen, dass ich solamente español basico spreche und KEIN VERDAMMTES WORT VERSTEHE!

Und die Anderen sehe ich schon gar nicht mehr. Treibe mit meinem Board in die komplett andere Richtung. Oh je! Ich merke es. Der mittelschwere Tobsuchtsanfall aus dem Hostel schwappt langsam aber sicher im gleichen Takt wie die Wellen zu einem ausgewachsenen Tsumani-Tobsuchtsanfall!

HILFE! Habe ich erwähnt, dass sich meine Schwimmkenntnisse in Grenzen halten?

 

3, 2, 1, ICH SURFEEEE

 

Na wenigstens sehe ich meine Freundin Clarissa, die sich doch tatsächlich mutig auf das Board schwingt und mit einem Affenzahn Richtung Strand reitet. WOW! Mensch, das will ich auch.

Also überwinde ich meine Angst vor diesem Riesenteil von Surfbrett, das mir schon 2 mal gegen den Kopf geschlagen hat, und versuche mein Glück. Hops bin ich auf dem Brett, stehe und surfeeeee…. ganze 3 Sekunden, dann haut es mich wieder runter!

Aber hey, zumindest 3 Sekunden stand ich auf diesem gottverdammten Ding, das in diesem Leben bestimmt nicht mehr mein Freund wird.

3 Sekunden. 3 Sekunden, in denen ich ganz genau wusste, was will.

 

WAS IST MEIN LOHNENSWERTES ZIEL?

 

Mensch Meier, wenn es im echten Leben doch auch so einfach wäre. Du springst einfach auf eine Welle und reitest los.

Wo ist diese Welle, die mich da hin bringt, wo ich hinmöchte, frage ich mich am selben Abend, als Clarissa und ich im Bett von unserem neuen Couchsurfer-Freund liegen. Ich gucke das Board an, das neben mir auf dem Boden liegt.

Weswegen bin ich hier hergekommen? Was wollte ich hier in Südamerika erreichen? Und was sind meine Stärken, die ich dafür einsetzen kann?

Und bin ich hergekommen um auf der faulen Haut zu liegen, fiesta all day long und vino tinto in Strömen?

NEIN. Ich bin hergekommen, um für eine gute Sache zu kämpfen. Etwas Sinnvolles zu tun, Menschen zu helfen, die Hilfe brauchen und für die Rechte derer einzutreten, die sie am allermeisten benötigen.

 

TIME TO MOVE ON

 

Nur das kann ich nicht hier in Chile – In einem Land, von dem ich dachte, ich würde die ganzen 6 Monate hier verbringen. Ich kann es nicht, weil ich mich hier nicht sehe. Nicht mehr.

Ich hatte eine tollte Zeit hier, habe das große Glück, dass ich Menschen getroffen habe, die ich nie wieder missen möchte. Die mich und meinen Weg gezeichnet haben.

Vielleicht die Skizze zu meinem weiteren Weg.

Aber trotzdem zieht es mich weiter. Weiter weg in ein Land, in dem ich vielleicht wirklich etwas erreichen kann. Das Hilfe gut gebrauchen könnte. Ein Land, an das ich die letzte Zeit immer öfter gedacht habe, aus dem ich schon viele zaubertolle Menschen kennenlernen durfte. Ein Land, in dem ich mich sehe. Vielleicht..

 

Bleiben will ich, wo ich nie gewesen bin.

 

Und da kommt es. Ein Gefühl. Nicht mehr als das. Doch das genügt mir.

 

HI INTUITON, UND WAS GIBTS HEUTE?

 

2 Tage später machen meine Freundin und ich uns auf den Heimweg. Zurück in die Stadt. Zurück in das laute Partyhostel mit den lauten Partygästen.

Zurück da, wo ich nicht hin will.

Als ich im Hostel eintreffe, begrüßen mich die Anderen stürmisch. Sie haben mich vermisst. Wo ich denn so lange geblieben bin, wollen sie wissen. Das rührt mich. Sehr.

 

wo ich bin will ich nicht bleiben, aber


die ich liebe will ich nicht verlassen

 

Meine Intuition macht sich bemerkbar. Und diesmal sehr stark. Ich kann sie förmlich rufen hören.

3, 2, 1

3 Sekunden. Und ich weiß ganz genau, wo ich als nächstes hingehe.

 

 

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