Wenn du wie ich, Weihnachten seit deiner Geburt jedes Jahr Daheim verbracht hast, gebe ich dir einen Tipp:

Feiere es wo anders!

 

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Gebe dir selbst die Möglichkeit, aus dem Chaos der Familienfeiern zu entfliehen und es gleichzeitig zu vermissen. Erlebe das einzigartige Gefühl, in einem Land zu sein, in dem du nicht wie jedes Jahr schon im November die Krise bekommst, wenn du in den Supermärkten die Lebkuchen siehst, dir die roten Christbaumkugeln entgegenblitzen und dein einziger Lichtblick das Blitzen des Eierlikörschnaps ist, der im Regal eine Reihe weiter steht.

Traurig, oder? Aber von Zeit zu Zeit meine einzige Rettung..

 

Ich kann nur so viel sagen: Es ist einfach fantastisch!

 

ESSEN FÜR ALLE IM HOSTEL

 

Und das Lustige: Es ist gar nicht mal so anders wie Daheim! Die Leute drehen hier genauso durch, hetzen am 23. durch die Läden wie Richard Kimble auf der Flucht vor dem Einarmigen (Auf der Flucht, einfach ein grandioser Film) und du fragst dich selber, ob die Olle an der Kasse den Schuss nicht gehört hat, wenn sie mich mit meinen 10 Flaschen Wein unterm Arm schief anguckt und fragt, ob ich die tatsächlich alle alleine trinken werde.

Hallooo, das ist für die ganzen Leute im Hotel, gute Frau, nicht für mich alleine! 🙂

Die Leute im Hostel. Wirklich! Wir 4 haben uns nämlich dazu entschlossen für uns alle plus alle Weltenbummler in unserem Hostel ein Weihnachtsessen zu veranstalten.

Ich taufe das Essen stolz:

WIR-SIND-ALLE-EINS-UND-KEINER-IST-ALLEINE-AN-SCHEIß-WEIHNACHEN-ESSEN

 

OHNE MEINE OMA GIBTS AUCH KEIN WEIHNACHTEN

 

Wie du vielleicht raushörst, bin ich generell nicht der größte Fan von einer Zelebrierung dieses besonderen Tages. Seit meine Oma nicht mehr mit uns unter dem Baum sitzt, ist es irgendwie nicht dasselbe. Und deswegen boykottiere ich den 24. seit ein paar Jahren.

Oder sollte ich vielleicht mal über meinen Schatten springen, mich wie eine fast 30-Jährige verhalten und nicht wie eine 13-Jährige und dem Ganzen eine neue Chance geben? Hmmm, ich werde später nochmal drüber nachdenken.

Na jedenfalls wollen wir richtig groß auftischen. Mit vino tinto, allerlei Köstlichkeiten und allerlei Halligalli, später wenn wir weiterziehen.

Und der Halligalli beginnt auch schon in der Früh am 24.12.2015.

 

SAME SHIT EVERY YEAR

 

Ich wache auf, durch wirres Geplapper am Gang, vor meiner Zimmertüre. Wirres Geplapper plus nicht mehr gar so wirre, sondern eher wüste Beschimpfungen! Ich glaubs ja nicht, Diana und Pablo haben Streit! Das erste Mal seit Wochen, dass sich die beiden nicht im Arm liegen, sondern sich diesen wahrscheinlich eher abhacken würden.

Que passsooo? Was ist da los, frage ich mich. Wie sich herausstellt, gibt es die ein- oder andere Meinungsverschiedenheit was die Arbeitsaufteilung für das nächtliche Festmal betrifft.

Ein waschechter Streit an Heiligabend. Und schon ist es wieder wie zu Hause 🙂

Meine Versuche, den Eklat zu schlichten, scheitern kläglich. Genauso wie mein Versuch, eine Einkaufsliste auf Spanisch zu verfassen. Was heißt Karotte nochmal? Ach wurscht, ich mache einfach eine Zeichnung. Wird der nette Verkäufer am Stand unten an der Ecke schon verstehen.

 

AUSGELACHT AN HEILIGABEND. NA BRAVO

 

Äh ja, schon verstehen tut der gute Mann rein gar nichts. Dafür lacht er. Er lacht mich doch tatsächlich aus! Er gackert und gackert bei dem Anblick meiner Liste. Zeigt diese auch noch seinem Kollegen, der in das Lachen mit einstimmt.

Das gibt’s doch nicht! Da werde ich tatsächlich ausgelacht. Und das an Heiligabend!

Mich packt die schiere Verzweiflung.

Auch wenn ich das Lachen jetzt mal positiv auffasse – vielleicht will er mir damit vermitteln, dass er auf meine Zeichnung steht?! Nein… denn das Lachen erinnert mich langsam an das fiese Lachen von den drei Hyänen aus Der König der Löwen (ebenso ein grandioser Film).

Nicht mit mir, Schätzchen.

Ich kontere in meinem besten und selbstbewussten Spanisch, dass ich gerne meine Liste wiederhätte und er sich gerne mal in ein fremdes Land wagen soll, ohne Vorkenntnisse!!! (Das betone ich immer besonders gerne :)) und das wir dann gerne nochmal weiterreden könnten!

HA! Ich grinse selbstzufrieden. So viel zum Thema Selbstwert. Selbstwert und selber Vokabeln lernen at its finest.

Während mein Grinsen immer breiter wird – da habe ich doch tatsächlich was gelernt, die letzten Wochen – erlischt seines in dem Moment und der Mann packt brav meine Karotten und Kartoffeln zusammen. Beim Weggehen zwinkere ich dem Spaßvogel von Verkäufer noch einmal nett zu und stapfe mit einer aufgeblähten Brust wie ein Gockel den Hügel zu unserem Hostel hinauf.

 

OHNE ERWARTUNGEN IST ALLES BESSER

 

Oben warten auch schon die Anderen auf mich, wie immer rauchend und mit Gitarre unter dem Arm, an der Hosteltüre lehnend und applaudieren mir, da ich reichlich Tüten unter meinem Arm trage. Und reichlich gute Laune. Reichlich gute Laune an einem 24. Dezember hatte ich schon lange nicht mehr.

Es ist einfach alles so entspannt. Ich mache worauf ich Lust habe, ohne den Druck, dass das ein ganz fabelhaftes Weihnachten werden muss. Ohne Erwartungen.

Erwartungen. Das ist hier wohl das Zauberwort. Mir ist generell aufgefallen, dass es nur positiv ist, keine großen Erwartungen zu haben, weil man im Nachhinein nicht enttäuscht sein kann, wenn es doch nicht so ausging, wie eben erwartet.

Hier ein paar Beispiele (natürlich am eigenen Leib erfahren):

 

Sex mit dem Unbekannten aus dem ominösen Nachtclub ums Eck plus ominöser Frisur. Besser keine Erwartungen.

Einschlagende Gewichtsreduzierung nach der neuen Diät aus der Petra, wo man angeblich Essen darf, worauf man Bock hat. Besser keine Erwartungen.

Die schöne Vorstellung, dass dich deine Ex-Affäre total vermisst, während du weg bist und zu Hause auf dich warten wird. Pustekuchen. Besser keine Erwartungen.

 

MAL EBEN KOCHEN FÜR 20 LEUTE

 

Also mache ich mich plus minus Erwartungen an die Vorbereitungen für das Weihnachtsfestmal. Nur habe ich da nicht mit den Erwartungen von Pablo gerechnet. Ich glaubs ja nicht, der ist ja tatsächlich aufgeregt!

Nervös stakselt er in der Küche umher, hängt überall seine Finger rein und brabbelt unvollständige Sätze vor sich hin. Hach, wie süß. Pablo liebt Weihnachten und möchte es genauso gestalten wie Daheim:

Das pompöse Festessen gegen 23 Uhr, danach wichteln und dann geht’s ab en la calle. Auf die Straßen.

Was dann aber wirklich pompös ist, ist unser Hunger, der sich gegen 24 Uhr in schlechte Laune verwandelt. Wir Vier haben das wohl doch alles ein klein wenig unterschätzt und hinken dem Zeitplan dezent hinterher.

Kochen für 20 Leute ist dann doch nicht mal eben gemacht, wie es Matthieu vorher noch so schön posaunt hatte. Jaja, die Franzosen wieder und ihr leichter Hang zur Selbstüberschätzung 🙂

 

DER PERFEKTE TAG

 

Jedoch schaffen wir es dann doch mit einer leichten Verspätung von 2 Stunden, ein gelungenes Festessen auf den Tisch zu zaubern. Die Gäste des Hostels und unsere Freunde haben alle noch etwas zum Essen vorbereitet, jeder bringt was mit, egal ob Vino oder Coq au Vin – sie haben sich Mühe gegeben und sich Gedanken gemacht. So wie wir alle. Uns das ist, was zählt.

Nicht, dass heute der 24. ist. Nicht, dass meine Oma leider nicht mehr da ist. Und nicht diese doofen Erwartungen. Zur Hölle damit!

Und alle sind wir auch dankbar, dass wir gemeinsam an einem Tisch sitzen, mit neuen Freunden, einer neuen Familie und noch dazu:

Alle aus verschiedenen Ländern der Welt zusammengewürfelt.

Und so taufe ich unser Essen um, in:

 

WIR-SIND-ALLE-EINS-UND-KEINER-IST-ALLEINE-AN-SCHEIß-WEIHNACHEN-ESSEN-INTERNATIONAL

 

Feliz Navidad, liebe Mama und Schwester und Oma. Ich denke an euch.

 

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