Wann hat das Reisen eigentlich angefangen anstrengend zu werden? Wo ist all das Leichte und Unbeschwerte hin, dass das Reisen doch ausmachen soll?

 

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Diese Frage stelle ich mir, als mir Enrique die anderen beiden Couchsurfer vorstellt. Beides Franzsösinnen und scheinbar so mittendrin im Flow und dem dolce vita. Sie strahlen eine so unbekümmerte und das Leben umarmende Energie aus, das ich prompt ein wenig neidisch werde.

Da sitze ich, gestützt auf meinem Backpack am Busbahnhof von Lima, total fertig von der Reise, meine nicht gewaschenen Haare hängen mir ins Gesicht, mein Mascara hängt auf Dreiviertel neun und das einzige was ich in dem Moment eigentlich will, ist ein Bett und davor eventuell, wenn ich es schaffen sollte, noch eine Dusche. Und gegenüber von mir stehen zwei Frauen, die ich gerade so bezaubernd und gut riechend finde, dass ich mir vorkomme wie Quasimodo. Wie Quasimodo plus minus Spanischkenntnisse und einer leicht übelriechenden Note.

 

LIMA, DU SAUGST MICH AUF

 

Enrique, sein Freund Marco und die Mädels planen den Abend, was wir denn jetzt noch machen könnten, welche Bar wir unsicher machen und wo wir einen günstigen Pisco Sour herbekommen. Also ich denke zumindest, dass sie darüber reden, denn verstehen tue ich (MAL WIEDER!) nur Bruchteile. Wieso zur Hölle können die 2 Mädels nach 2 Monaten Reisen schon perfekt Spanisch? Und wieso zur Hölle verstehe ich kein fuckin Wort?

Zum deprimiert und mich selbst bemitleiden bleicht jedoch keine Zeit, denn schwups schnallt sich Marco mein Backpack über und wir machen uns auf den Weg. Wir fahren erstmal zu Enrique nach Hause, Sachen abladen und im Anschluss erstmal was Essen.

Ich dufte zum ersten Mal von Lima, bin mittendrin und ich kann nur eines sagen: Es ist krass! Krasser als krass! Die Autos fahren wie wildgewordene Mafiosi Wägen aus dem Film „Der Pate“ und wenn du nicht aufpasst bist du verwickelt in einen der Bandenkriege, die hier laut Marco wohl an der Tagesordnung stehen. Es ist laut, die Metro platzt aus allen Nähten und der Dunst der Stadt hängt über den Wolken und scheint sie gänzlich zu verschlucken. Wie eine kleine Smog Blase scheinen die Abgase und die schwüle Hitze mich einzuatmen um mich dann wieder auszuspucken.

 

WEN VERSUCHE ICH EIGENTLICH ZU BEEINDRUCKEN?

 

Und während ich all das Neue und Spannende in mir aufnehme, unterhalte ich mich mit Stefanie, einer der Französinnen. Sie fragt mich, was ich schon alles gesehen habe, wo ich überall war und wie mir der Macuu Piccu gefallen hat.

Puuu, sage ich, mei, bisher habe ich nicht so krasse Sachen gesehen, bin weder durch den Urwald, noch habe ich was mit einem heißen Südamerikaner angefangen. Dafür habe ich Spanisch gelernt, Freundschaften geschlossen und herausgefunden, dass nach dem 3. Glas Vino Tinto definitv für mich Schluss ist. Ich grinse. Sie allerdings grinst nicht, sondern guckt mich mit einer leicht überheblichen Miene an und zwingt sich ein halbherziges Lächeln auf.

Ähh ja, danke für das Gespräch. Wieso will ich sie eigentlich beeindrucken? Denke ich mir, als ich versuche mit den Anderen Schritt zu halten. Und vielleicht ist sie doch nicht so cool, wie ich dachte. Trotzdem, ich fühle mich verunsichert. Eingeschüchtert von ihrem starken Selbstbewusstsein und all den fantastischen Dingen, die sie schon erlebt hat und dass sie selbst bei verdammten 40 Grad noch riecht als bade sie im verdammten Chanel Nr. 1.

Wie kommt es, dass wir uns ständig mit Anderen vergleichen? Wieso können wir nicht mit uns so wie wir jetzt sind zufrieden sein, sondern beginnen, uns kleiner zu fühlen, wenn unser Gegenüber scheinbar mehr erreicht hat und weiter ist im Leben, als wir glauben zu sein?

Ohhh, er kann besser Spanisch sprechen als Ich und ohhhhh, er ist schon um die halbe Welt gereist. Wieso nicht ein bisschen mehr von Ohhh, dafür habe ich mich alleine auf die Socken gemacht und ohhhh dafür kann ich auch noch betrunken den Text von “Jein” auswendig.

 

GUTE RATSCHLÄGE ZU GEBEN IST LEICHT – SIE BEI SICH SELBER ANZUWENDEN SCHWIERIG

 

Ich hatte mal ein Gespräch mit einer Freundin und sie sagte mir, dass sie ein wenig neidisch ist, dass ich mich traue alleine zu reisen und dass das für sie momentan unvorstellbar wäre. Dass sie nicht den Mut dazu aufbrächte. Damals sagte ich ihr, dass sie dafür in anderen Dingen weiter ist und wir von unseren gegenseitigen Erfahrungen lernen und wachsen könnten. Schön gesagt nicht? Doch leider fällt es mir leichter Anderen gute Ratschläge zu geben als diese bei mir selber anzuwenden.

Bei Enrique angekommen stelle ich fest, dass er noch Daheim wohnt, aber wohl das obere Stockwerk komplett ihm gehört. Das obere Stockwerk ist eine Dachterasse. Allerdings nicht wie eine Dachterasse im Plaza, sondern eher wie aus dem Film Slumdog Millionaire. Wurscht, warmen Wasser und einem richtigen Bett habe ich schon länger abgeschworen, also lege ich meine Sachen in dem hinteren Zimmer ab.

Das Vordere haben schon die beiden Mädels besetzt. Also nehme ich Vorliebe mit einer abgeranzten Matratze, einem zugemauerten Fenster und einem Geruch, der an ein Leichenschauhaus erinnert. Ach ja und meinem neuen Mitbewohner. Der Schildkröte Kassiopeia, dem Haustier und zugleich illegalen Untermieter von Enrique.

 

FUCK, LASSE ICH MICH ECHT SO SCHNELL VERUNSICHERN?

 

Na bravo, seit wann lasse ich mich eigentlich von 2 Mädels einschüchtern, nur weil sie aus Frankreich kommen, anscheinend schon halb Südamerika gesehen haben und fließend Spanisch sprechen?!

Nicht mit mir, denke ich und mache mich auf eigene Faust auf runter zu Enrique, der an Gutherzigkeit nicht zu übertreffen ist. Er hat für uns bereits ein Tablett mit Kleinigkeiten zu Essen, Wasser und Kaffee vorbereitet. Warum denn keine Milch dabei sei und das Wasser warm ist, fragt doch tatsächlich die Eine von den beiden Französinnen, als sie beschwingt die Treppe hinunter kommt.

Und so gestaltet sich der ganze restliche Abend. Es wird gemeckert, sich auf Französisch unterhalten, was leider keiner von uns versteht und gekichert über meine Versuche mich mit Enrique und Marco auf Spanisch zu unterhalten.

Enriques Stimmung verschlechtert sich von Minute zu Minute, er schaut mit zerknitterten Augen und hängenden Schultern drein und auch der scheinbar so selbstbewusste Marco mit seinen langen Haaren und aufgepumpten Muskeln verliert sein Lachen. Denn sie wollen es uns doch nur schön gestalten und hoffen, dass es uns bei ihnen gefällt.

 

WAS BIN ICH MIR SELBER WERT?

 

Hakts eigentlich bei euch, frage ich mich und zugleich: Will ich wirklich so sein? Bin ich echt neidisch auf zwei Frauen, die scheinbar so mit sich selber beschäftigt sind, dass ihnen alle Dankbarkeit und Sympathie verloren gegangen ist? Und was haben sie überhaupt was ich nicht habe? Okay, sie können vielleicht fließend Spanisch und haben wuuunderschöne braune Augen, aber dafür kann ich eines:

Dinge und Menschen wertschätzen. Dankbar sein für Kleinigkeiten und ganz alleine ans andere Ende der Welt reisen. Verdammt nochmal, ich bin auch wer!

Und so beschließe ich zwischen hupenden Autos, Staub auf den Straßen und auf meiner Haut, Französisch in meinem Kopf und Selbstzweifeln auf meinen Schultern, stehen zu bleiben. Nur für einen Moment stehen zu bleiben und das zu erkennen was ich bisher alles geleistet habe und wer ich bin und vor allem:

Was ich mir selber wert bin. Nämlich mehr als Coq au Vin und mehr als perfekt eine Sprache sprechen zu können und mehr als mich von Sticheleien von zwei Fremden, die Laune verderben zu lassen. Und überhaupt: Isst man in Frankreich nicht Frösche? 🙂

Also klopfe ich mir den Staub von den Schultern, schüttele meine Zweifel ab und tue etwas dagegen: Ich schnappe mir Marco und Enrique, hake mich bei ihnen unter, lasse die Mädels mit verdutzten Gesichtern hinter mir und was beginnt, ist eine skurrile Freundschaft zwischen 3 Fremden. Die Gringa, der Muskelprotz und der Schüchterne.

 

Und das Beste: Wir sind uns genug. So wie wir sind.

 

 

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