Ich gehe nach Columbien.

Ich gehe nach Columbien!

Gehe ich echt nach Columbien?

 

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Die Uhr zeigt 2:45. So eben habe ich mich von Clarissa und meinen anderen Freunden aus dem Hostel verabschiedet. Diana, Pablo, Matthieu und noch ein paar mehr. Tränen sind geflossen. Sehr viele Tränen. Und nun sitze ich auf meinem Bett und kann nicht glauben, dass ich wirklich morgen früh – ähh stop, heute früh – mein Zuhause verlasse.

Der Ort, der die letzten 2 Monate mein Heim war, mein Zufluchtsort, mein Nest. In dem ich Freundschaften geschlossen und gelernt habe – nicht nur eine fremde Sprache sondern so vieles mehr. Das, was man eben so lernt, wenn wir weit weg von Zuhause sind.

In meinem Falle war es zum größten Teil, meinem Freund der Angst, die Stirn zu bieten.

 

HEY ANGST, WARUM BIST DU IMMER NOCH DA?

 

Und wo ich noch dachte, ich hätte sie verjagt, klopft sie nun wieder an. Jetzt, hier, wo ich auf meinem Bett sitze und meine Sachen zusammenpacke. Wieso ist das so? Wieso können wir ein Thema, eine Sache, die wir nicht mögen, dem wir aber face to face entgegengeblickt haben, wieso können wir es nicht verjagen?

Wieso ploppt es wieder auf, in Momenten, in denen wir es absolut nicht gebrauchen können? Plopp, wie eine Email über unsere Stromrechnung. Oder plopp, wie eine Whatts App von dem heißen Typ, der uns eine Abfuhr erteilt. Plopp, plopp.

Ich hatte meine Angst doch schon mal überwunden. Erinnerst du dich? Es war, als ich in das Flugzeug gestiegen bin. Es war, als ich fremde Leute angesprochen habe. Es war, als ich im Spanisch-Intercambio das Wort “Selbstbefriedigung” auf Spanisch erklären musste (Keine Lacher jetzt bitte, das war super peinlich :)).

Ich hatte sie überwunden. Dachte ich zumindest. Denn jetzt ist sie wieder da. Plopp.

Wieso kann nicht der Mut aufploppen, oder der Stolz oder aufgeregtes Herzflattern. Denn ich habe es ja schon einmal geschafft. Also warum fühle ich dann immer noch Angst, wenn ich ihr doch schon so viele Male entgegengeblickt habe?

Ich beschließe, das zu tun, was ich in solchen Momenten immer tue:

Es auf morgen verschieben.

Also gehe ich vernünftigerweise schlafen, ziehe mich aus und lege mich ins Bett.

 

WIESO GEHE ICH NOCHMAL?

 

3:50. Ich bin hellwach. Fuck, ich fahre echt nach Columbien. Mein Gedankenkarussell beginnt sich zu drehen. Ich denke also. An das Abschiedsessen mit meinen Freunden, das wir gestern Abend im Mexikaner zelebriert hatten. Und an Pablo, der quer über den Tisch schrie, ich solle doch eine Rede halten. REDE! REDE!

Also rede ich. Ich rede und lasse die letzten Wochen Revue passieren. Ich bedanke mich mit einem Kloß im Hals bei meinen Freunden, die mich begleitet haben auf meinem Weg und mir beistanden, wenn ich es brauchte. Und mich nun ziehen lassen, wenn es an der Zeit ist. Es war ein schöner letzter Abend. Er hätte nicht besser sein können.

Und plopp, das ist sie wieder, die Angst, denn eine Frage kreist in meinem Kopf:

“Wieso verlässt du die Leute, die dich lieben und das Land, das du gewohnt bist für etwas vollkommen Fremdes?”

 

IST ES VIELLEICHT ZU RISKANT?

 

4:30. Und täglich grüßt das Murmeltier. Denn an Schlaf ist nicht zu denken. Scheiße, und derweil muss ich ja in 2 Stunden aufstehen. Aber dafür schwirren viel zu viele Gedanken in meinem Kopf herum. Habe ich auch das Busticket, meinen Reisepass und alles eingepackt? Der Reisepass ist das Wichtigste, haben mir meine Freunde daheim eingebläut.

Meine Freunde daheim, die meine Idee nach Columbien zu gehen, mit geteilter Meinung sehen. Es sei gefährlich, ich reise alleine und bin auch noch BLOND, ich könnte verschleppt werden, an die Mafia verkauft oder noch schlimmer: mit Drogen im Bauch in ein Flugzeug geschmuggelt nach Amsterdam verfrachtet werden.

Hört sich nach einem schlechten Hollywood-Film an, was? 🙂 Ist aber nur die Angst meiner Freunde und Familie. Und irgendwie ja auch ganz süß und gut gemeint. Nur rauben mir die Ängste Anderer gerade den Schlaf. Und Plopp, da ist sie wieder.

„Ist es nicht zu riskant alleine 2 Länder zu durchqueren und sich auf die Suche nach etwas zu machen, NUR WEIL ES MIR MEIN BAUCHGEFÜHL SAGT?“

 

MEIN FREUND, DAS VERTRAUEN

 

5:50. Ich sehe mich auf der Wiese liegen. Die Wiese im parque natural in Valparaiso. Das hier ist mein Lieblingsplatz. Hier gehe ich hin, wenn mir das Leben im Hostel zu laut ist. Ich höre die Vögel zwitschern und fühle mich friedlich. Ich bin sicher. Neben mir liegt Lauren, sie kommt aus Frankreich und strahlt diese Leichtigkeit und Lebensfreude aus, die Franzosen – meiner Meinung nach – von Natur aus in sich tragen.

Wir reden nicht viel. Plötzlich sehe ich am Horizont ein Gewitter aufziehen. Es wird stürmisch und die Vögel hören auf zu zwitschern. Es macht plopp. Und den Gedanken spreche ich laut aus:

„Ich weiß nicht, ob es das Richtige ist, zu gehen. Ich habe Angst.“

Und in dem Moment nimmt sie meine Hand. Sie sagt nichts. Aber ich spüre Vertrauen. Und die Vögel fangen wieder an zu singen.

 

ICH PROBIERE MAL WAS NEUES: AKZEPTANZ

 

RRRINNNNNG!!!

Der Wecker klingelt. Es ist 6.30 Uhr. Zeit zum Aufstehen. Zeit, meine Reise anzutreten. Ich bin nervös. Aufgeregt und glücklich. Plopp, macht es. Doch lasse ich den Gedanken, die Angst nicht zu Wort kommen. Und ich entschließe mich dazu, mal etwas Neues auszuprobieren:

Anstatt mich darüber zu ärgern, dass ich Angst und Zweifel empfinde, nehme ich die Gefühle für den Moment an, so wie sie sind. Vielleicht ist mein Freund die Angst einfach so lange da, bis ich aufhöre gegen sie anzukämpfen.

Ist es nicht so? Man sagt die Akzeptanz sei der erste Weg zur Besserung. Zur Veränderung. Denn der Weg der Veränderung führt darüber, dass wir uns für den Moment so akzeptieren wie wir sind. Ich in meinem Falle, akzeptiere meinen Freund die Angst für den Moment.

Dadurch fällt das dagegen Ankämpfen weg. Und damit meine ich keine Resignation oder ein stillschweigendes Hinnehmen. Sondern einfach nur:

Ok. Das ist jetzt gerade so. Für den Moment fühle ich Angst. Und in kurzer Zeit ist sie vielleicht schon wieder weg. Vielleicht können wir eine Sache, ein Gefühl für eine kleine zeitlang so annehmen wie es ist und sie mit uns tragen. Oft verwechseln wir mit Akzeptanz das Gefühl der Niederlage oder Kapitulation. Aber das ist es nicht.

 

COLOMBIA BABY, ICH KOMME!

 

Denn wer weiß, vielleicht verwandelt sich dann das Gefühl, und nur alleine dadurch, dass wir es benannt und wahrgenommen haben, in kurzer Zeit zu einem anderen Gefühl. So ein bisschen wie mit einem Schmetterling.

Ich meine, der ist ja auch erst eine Puppe und hängt in der Gegend rum. Bis er fliegen kann, dauert es ein bisschen. Aber dann löst er sich aus seiner alten Haut und flattert mit seinen Flügeln.

Also stehe ich auf, werfe mir mein Backpack über den Rücken und nehme meinen Freund mit. Aber ich lasse ihn an der langen Leine. Nur zur Sicherheit.

 

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