Ich stehe im Bus. Halte meinen Rucksack fest in meiner Hand. Umklammere ihn.

Denn ich brauche etwas, an dem ich mich festhalten kann.

Ich versuche es zu unterdrücken. Versuche die Tränen zu ignorieren, die sich ihren Weg von meinem Herzen nach oben bahnen wollen. Versuche mich abzulenken.

 

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Aber es funktioniert nicht.

Und da passiert es:

Ich weine. Ich stehe im Bus in Lima, am anderen Ende der Welt, und ich weine.

 

REISEN SOLL DOCH IMMER EINFACH SEIN – ODER NICHT?

 

Reisen bedeutet für mich sich selbst zu finden, frei zu sein, nur auf seinen Rhythmus zu hören und nach seiner inneren Drum zu leben.

Es wäre schön, wenn es immer so leicht wäre. Wenn immer alles glatt laufen würde, wenn wir nur von schönen Erlebnissen geprägt und inneren Erkenntnissen reicher würden. Ja, es wäre so schön.

Doch wenn du wie ich länger unterwegs bist, in einem Land, dessen Sprache du nicht beherrschst und innerlich auch noch einen kleinen Kampf ausfechtest, dann passiert folgendes:

Du stehst in einem rumpsvollen Bus, vollbepackt mit Leuten, die dich anstarren, und du weinst.

Bitterlich. Dein Freund, der neben dir steht, versteht die Welt nicht mehr. Fragt, ob alles ok ist und ob ihr aussteigen sollt. Guckt etwas panisch drein, hilfesuchend sieht er sich nach etwas um, das dich beruhigen könnte. Die Frau hinter dir beäugt dich und im Bus beginnt ein Tuscheln. Ein Tuscheln, dass sich weiter in dein Ohr schleicht und dass du nicht überhören kannst, selbst wenn du es wolltest.

„Que paso, Verena, dime!“ Was los sei, fragt er mich.

„Yo no entiendo!“ Ich verstehe nichts.

 

Ich verstehe einfach nichts.

 

REISEN BESTEHT AUS PERFEKTEN TAGEN UND AUS PERFEKTEN SCHEIß TAGEN

 

Hier an dieser Stelle möchte ich dir einen Tipp geben: Wenn du in ein Land gehst, dessen Sprache du nicht gelernt hast: Lerne sie! Und am besten noch bevor du in das Land reist. Ansonsten könnte es sein, dass du unter Umständen weinend in einem Bus stehst.

Was auch ok ist. Versteh mich nicht falsch, ich bin ein Fan davon, seinen Gefühlen freien Lauf zu lassen und nichts zu unterdrücken.

Aber naja, so schön fühlt es sich dann doch nicht an.

Wie es dazu kam, dass ich heulend in einem Bus stehe?

Wie gesagt, Reisen ist nicht immer ein Zuckerschlecken. Zumindest für mich nicht. Für mich gibt es Höhen und Tiefen beim Reisen. Und ich, ich stecke gerade in einem Tief. In einem Tief, das so tief ist, dass ich den Boden nicht mehr sehe.

 

NO ENTIENDO – ICH VERSTEHE KEIN FUCKING WORT

 

Ich habe das Gefühl, dass mir die Kraft ausgeht. Die positive Energie, die mich am Anfang noch so angeschoben hat, die lässt langsam nach. Ich habe es unterschätzt. Die Sprache. Nach 2 Monaten Chile dachte ich, ja war ich so dumm naiv zu glauben, ich könne nun Spanisch sprechen. Könne nun alleine rauf nach Columbien, Länder durchqueren, Länder die jedoch ihren eigenen Slang haben. Ihren eigenen Slang, von dem ich nichts verstehe.

No entiendo! Ich versteh nicht. Ist mein Standartsatz geworden. Könnte ihn mir genauso gut auf die Stirn tätowieren oder mir ein Schild basteln, das ich mir um den Hals hänge. Ich will ja wirklich nicht jammern oder in Selbstmitleid baden, aber ganz ehrlich: Es fühlt sich beschissen an.

Freunde, ihr wisst vielleicht wie das ist: Das ständige Nachfragen und im Kopf überlegen, wie das jetzt heißen könnte, nimmt unheimlich viel Kraft. Dass sich nicht ausruhen können und einfach mal Englisch oder seine Muttersprache sprechen. Das ständige Konzentrieren und am Ende erkennen, dass es nicht ausreicht. Das ausgegrenzt fühlen, wenn du in einer Gruppe stehst, aber nicht kapierst, worüber gelacht wird. Der innere Kritiker, der dich schimpft und dich fragt, warum du nicht schon besser sprichst.

 

 HEULEND IM BUS, HEIMWEH UND HUNDEELEND

 

Und das Gesicht deines Freundes, der dich anschaut, auf dich einredet und dir irgendwie helfen will. Aber wie, verdammt nochmal? Denn ich verstehe dich nicht! AHHH!

Ich will nicht mehr kämpfen. Und zu allem Überfluss vermisse ich natürlich genau in diesem Moment auch noch meine Freunde daheim. Meine Freunde, denen ich mich nicht erklären muss, die mich verstehen, auch ohne viele Worte. Meine Mutter, mit der ich einen Cappuccino trinken gehe und wir uns des Lebens freuen und meine Schwester, mit der ich Grimassen ziehe und in die Nacht hinaus tanze.

Verdammt nochmal! So habe ich mir das aber nicht vorgestellt. Heulend in einem Bus zu stehen. Das Weinen baut sich langsam aber sicher zu einem Heulkrampf aus, den ich leider nicht unterdrücken kann. Ich schluchze Rotz und Wasser. Derweil wollte ich doch die Unerschütterliche sein, der einsame Wolf, der mit coolen Geschichten und spannenden Abenteuern nach Hause kommt. Und jetzt erzähle ich diese Geschichte. Die Geschichte von Verena, wie sie heulend in einem Bus steht.

 

WÄRE ES NICHT LANGWEILIG, WENN IMMER ALLES GLATT NACH PLAN LÄUFT?

 

Doch dann tue ich etwas Unerwartetes. Etwas, das ich zuvor noch nie ausprobiert habe.

Ich höre auf dagegen anzukämpfen und nehme es an. Nehme die Situation, so beschissen sie auch sein mag, für den Moment an. Und dann passiert etwas: Meine Tränen lassen nach. Sie versiegen. Enrique reicht mir ein Taschentuch und lächelt unsicher. Der wird sich auch denken, ich hab den Schuss nicht gehört 🙂

Und so stehe ich in einem Bus, rumpsvoll, am anderen Ende der Welt, angestarrt von fremden Leuten und ich lache. Ich beginne tatsächlich zu lachen. Keine hysterische Lache, sondern nur ein Glucksen. Mein Freund neben mir scheint die Welt nicht mehr zu verstehen, aber nach einem kurzen Moment, stimmt auch er mit ein. Und so stehen 2 Freunde zusammen und glucksen blöd vor sich hin.

Ich glaube, das Reisen kann vielleicht nicht immer schön sein und leicht und wundertoll. Reisen bringt auch Hürden mit sich, durch die wir aber wachsen können. Ein Freund hat mal gesagt, wenn das Reisen immer einfach wäre und alles glatt nach Plan läuft, wäre es ja langweilig. Je einfacher alles ist, desto eher vergessen wir es wieder.

Und so denke ich: Vielleicht wäre es gar nicht mal so schön, wenn es immer so leicht wäre. Wenn immer alles glatt laufen würde, wenn wir nur von schönen Erlebnissen geprägt und inneren Erkenntnissen reicher würden.

Ja, vielleicht wäre es dann gar nicht mal so schön.

 

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